Interview: Queerspiegel X René Powilleit

Tagesspiegel / Queerspiegel - Newsletter 05.06.2025

René Powilleit 
Bild: Alexander BrückeRené Powilleit Bild: Alexander Brücke

René Powilleit, seit einem Monat gibt es eine neue Bundesregierung unter Führung der CDU. Was können queere Menschen von Schwarz-Rot erwarten?

Es wird nicht einfach, neue Dinge durchzusetzen. Sicherlich hätten auch wir als LSU uns an manchen Punkten mehr gewünscht. Der befürchtete Backlash – also ein Zurück in die 60er und 70er Jahre – wird aber nicht eintreten. Dass Dinge wieder abgeschafft werden, das halte ich für nahezu ausgeschlossen.

Beim Selbstbestimmungsgesetz, das CDU und CSU laut ihrem Wahlprogramm abschaffen wollten, droht aber doch ein Rückschritt?

Diese Aussage, dass die Union das Selbstbestimmungsgesetz abschaffen will, habe ich im Wahlkampf ständig gehört. Das stimmt so jedoch nicht. Wir stehen zum Selbstbestimmungsgesetz, aber nicht zu dem der Ampel. Es ist der richtige Weg, das Gesetz nach zwei Jahren zu evaluieren und zu schauen, was die Auswirkungen dieses Gesetzes sind und wo es Verbesserungsmöglichkeiten gibt. Wenn wir etwa sehen, dass es von rechter Seite missbraucht wird, um Schindluder damit zu treiben, dann muss man sich angucken, was geändert werden kann. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass uns im nächsten Jahr diesbezüglich noch die ein oder andere Debatte ins Haus stehen wird.

Bei vielen Verbänden und Initiativen war die Ernüchterung groß, dass ansonsten queere Themen im Koalitionsvertrag kaum eine Rolle spielen. So findet sich etwa zur Erweiterung von Artikel 3 des Grundgesetzes in Bezug auf queere Menschen dort kein Wort.

Für uns als LSU ist klar: Das Grundgesetz braucht an dieser Stelle ein Update; Artikel 3 muss um das Merkmal der sexuellen Identität ergänzt werden. Es ist völlig unerklärlich, warum wir beim Thema des Diskriminierungsschutzes LSBTIQ+ Menschen gesellschaftspolitisch weiter sind, als es die Politik ist. Wir wissen, dass es schwierig ist, das umzusetzen, auch wegen des Unvereinbarkeitsbeschlusses mit den Linken, deren Stimmen wir dafür brauchen. Diese Änderung wird harte Arbeit. Wir werden mit unserem Bundeskanzler und Parteivorsitzenden noch sehr viele Gespräche führen müssen. Aber wir haben bei diesem Thema viele Mitstreiter.

Überraschend war für viele in der Community, dass es auch in einer CDU-geführten Bundesregierung wieder eine Queerbeauftragte gibt.

Ja, das ist ein Erfolg. Es gab Überlegungen, diese Position zu streichen. Aber in vielen Gesprächen ist es dann gelungen klarzumachen, dass wir in einer Gesellschaft, in der Hassgewalt gegen LSBTIQ+ immer weiter zunimmt, auch eine Beauftragte brauchen, die sich explizit dieses Themas annimmt. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass wir bei der Entscheidung stärker beteiligt worden wären. Und, dass die CDU den Posten besetzen darf, damit auch wir mal zeigen können, dass auch wir sexuelle Vielfaltspolitik mit all ihren Facetten gestalten können. Gerade im Sozialbereich haben wir da große Stärken. Jetzt ist es Sophie Koch geworden. Ich habe sie als sehr lebensrealistisch kennengelernt. Es hilft bei vielen Themen durchaus, dass sie aus Ostdeutschland kommt, weil LSBTIQ+ Menschen dort noch einmal ganz andere Probleme haben als in Großstädten wie Berlin – etwa mit Bedrohungen durch Rechtsextreme oder überhaupt beim Thema Sichtbarkeit.

Der CSD Karlsruhe hat der CDU verboten, am Pride am kommenden Samstag teilzunehmen. Wie stehen Sie dazu?

Konservative Haltungen sind bei vielen CSDs nicht gerne gesehen, obwohl es sehr, sehr viele konservative LSBTIQ+ Menschen gibt. Ja, der Pride war immer Protest und immer Demonstration. Aber aus meiner Sicht gehören demokratische Parteien zu einem CSD dazu. Anders ist es bei der AfD, die gesichert rechtsextrem ist. In Bezug auf die Union ist es für mich nicht verständlich, wenn eine Partei, die fest auf dem Boden der demokratisch-freiheitlichen Grundordnung steht und die zugleich die größte Partei in der Regierung ist, von einem CSD ausgeschlossen wird. Deshalb ist die Entscheidung, dass wir beim Berliner CSD wieder mit einem Truck teilnehmen dürfen, richtig. Wir dürfen uns in der LSBTIQ+ Community nicht gegenseitig kannibalisieren, sondern sollten gemeinsam kämpfen.

Das Interview führte Dominik Mai vom Tagesspiegel.